Wellen an der Schwingerkette
Lieber Leser, Musikinstrumente sind faszinierend! Und das nicht nur, weil man mit ihnen die verschiedensten Klänge hervorrufen kann, sondern weil sie auch aus physikalischer Sicht sehr interessant sind. In den meisten Fällen lässt sich die Tonerzeugung in ihren Grundlagen durch Zusammenhänge aus dem Bereich der Schwingungen und Wellen beschreiben. Das folgende Applet simuliert daher eine Schwingerkette, mit deren Hilfe ich versuche, wesentliche Eigenschaften der Wellenausbreitung für diesen einfachen Fall darzustellen. Leider hat sich herausgestellt, dass zumindest auf meinem Rechner das Applet sehr langsam und ruckhaft abläuft. Ich rate daher dringend an, die zugehörige Geogebra-Datei herunterzuladen und in Geogebra 5 zu öffnen. Hier sollte die Darstellung einwandfrei funktionieren. Zur Vereinfachung gebe ich hier einen Link zum direkten Download an: GGB-Datei. Im Anschluss an das Applet gebe ich Hinweise zur Bedienung und den Hintergründen der zugrundeliegenden Überlegungen.
Mit dem Applet können modellhaft folgende Aspekte der Wellenausbreitung betrachtet werden:
- Reflexion einer Störung am festen und am losen Ende,
- Erzeugung einer stehenden Welle durch periodische Anregung einschließlich sehr langsamer Bewegung,
- Erzeugung einer stehenden Welle durch Rückkopplung.
Alle Einstellungen werden auf der linken Seite neben dem Koordinatensystem vorgenommen. Zuerst sind über die Schieberegler die Federkonstante, die Erregerfrequenz (oder die Kopplungskonstante des Erregers für die Rückkopplung) und die Amplitude für den ersten Schwinger (an der Position 1) einzustellen. Der Button [Rücksetzen] stellt alle Elongationen und Geschwindigkeiten auf null. Mit [Störung senden] wird der erste Schwinger in der Einstellung zur periodischen Anregung nur eine halbe Periode lang bewegt, so dass die Ausbreitung entlang der Kette und die Reflexion am Ende beobachtet werden können. Die Checkbox [Animation] startet oder stoppt die dynamische Darstellung. Mit [Festes Ende] ist die Auswahl zwischen festem und losem Ende möglich. Ist das feste Ende gewählt, wird das auf der Rechtsachse am Ende der Kette durch einen blauen Punkt dargestellt. Ist die Checkbox [Rückkopplung] ausgewählt, wechselt der Schieberegler für die Frequenz zum Schieberegler für die Kopplungskonstante. Diese kann als die Konstante einer weiteren Feder betrachtet werden, die einen externen Erreger mit dem ersten Schwinger koppelt. Den Erreger symbolisiert eine Raute. Wenn der erste Schwinger der Kette sich innerhalb der beiden Amplituden befindet, ist die Raute grün gefärbt. Der Erreger bewegt sich dann in die gleiche Richtung wie der Schwinger. Anderenfalls ist die Raute rot und Schwinger und Erreger sind lediglich noch gekoppelt. Grundsätzlich ist die Vorstellung zum Modell die einer longitudinalen Ausbreitung. Ist [Transversale Darstellung] ausgewählt, kann die Elongation zur besseren Sichtbarkeit in y-Richtung abgetragen werden. Das ändert jedoch nichts am Verhalten der Kette. Es würde sich nur dann um eine Transversalwelle handeln, wenn die entspannte Länge der Kette null wäre, was nur für kurze Ketten, die sehr weit vorgedehnt werden, angenähert zuträfe. Nachfolgend sind Eigenschaften der Wellen aufgeführt. Darunter sind und für die Grundschwingung, bei periodischer Anregung die berechnete Wellenlänge und bei Rückkopplung die gemessenen Werte. Beim Messen wird die Zeitdauer zwischen zwei Rechtsachsen-Durchgängen für den letzten Schwinger ermittelt. Die anderen Daten sind außer der Energie Berechnungen aus dieser Zeitspanne. Mit dem Button [Beispiele zum Anklicken] können Beispiele für ausgewählte Welleneigenschaften ausgewählt werden. Neben den Orten der Schwinger sind in der Grafik zudem die zu erwartenden Knoten der stehenden Welle dargestellt. Ergänzt wird die Grafik bei transversaler Darstellung durch die Graphen für die theoretische Amplitude (Kurven in grün). Nach dem Einschwingen sollte sich die Kette zwischen den beiden Kurven bewegen. An letzter Stelle ist das Eingabefeld für die Anzahl der Schwinger zu finden. Es ist dann sichtbar, wenn die Animation nicht ausgeführt wird. Für ein festes Ende kann ich die Anzahl 19, für ein loses Ende 20 empfehlen. Für das Applet habe ich nur fünf gewählt, da dann die Animation im Browser noch einigermaßen ruckelfrei abläuft. Gedanken zur Didaktik Zur Veranschaulichung der Wellenausbreitung gibt es zahlreiche fertige Versuchsaufbauten. Mit ihnen lassen sich sowohl verschiedene Wellenarten als auch deren Verhalten sehr schön untersuchen. Sie haben außerdem den Vorteil, reale physikalische Anordnungen zu sein und somit das tatsächliche Verhalten der Natur widerzuspiegeln. Ihnen ist also jeder Simulation gegenüber Vorzug zu leisten. Welchen Nutzen kann das Applet dennoch haben? Für mich persönlich wollte ich eine Antwort darauf haben, ob das verwendete Modell (siehe nächster Abschnitt) überhaupt das geeignete ist. Hierzu sollte es sich bei der Reflexion so verhalten, wie man es aus der Natur kennt. Die Abstände von Knoten und Bäuchen bei stehenden Wellen sollten sich ebenso so einstellen, wie sie anhand der Kenngrößen zu erwarten sind. Das Ergebnis der Überprüfung stellt für all diejenigen, die sich mit dem Modell an sich befassen, einen Erkenntnisgewinn dar. Abgesehen von diesem grundlegenden Aspekt kann das Modell nur durch Parametervariation, also ohne Tausch oder Änderung eines Versuchsaufbaus, dazu genutzt werden, unterschiedliches Wellenverhalten zu veranschaulichen und zu untersuchen. So wird zum Beispiel bei einer periodischen Anregung des ersten Schwingers deutlich, dass die Orte von Knoten und Bäuchen eben nicht abhängig von der Länge der Schwingerkette sind. Diese Längenabhängigkeit ist aber für Musikinstrumente sehr wichtig und muss daher auch im Vordergrund stehen. Jedoch besteht damit auch die Gefahr einer voreiligen Verallgemeinerung, was gerade für Lernende an dieser Stelle zu einer Falle im Erkenntnisgewinn werden könnte. Der Vergleich mit einer rückgekoppelten Anregung der Welle zeigt sehr deutlich den Unterschied in der Form der Wellenerzeugung und deren Auswirkung. Erst bei dieser Form der Energiezufuhr an die Schwingerkette stellt sich eine stehende Welle ein, deren Verhalten von der Länge der Kette bestimmt wird. Das Resonanzverhalten bei einer stehenden Welle ist auch von dem bei der erzwungenen Schwingung völlig verschieden: Bei stehenden Wellen gibt es mehrere Resonanzfrequenzen. Diese hängen jedoch nicht nur mit einer besonders guten Ankopplung zusammen, sondern sie werden auch von der Geometrie bestimmt. Im Applet hängt die maximale Amplitude an den Bäuchen nämlich vom Ort der Reflexion und der Position des ersten Schwingers ab. durch die Darstellung des Ortes von Amplitude und negativer Amplitude kann das Applet verdeutlichen, dass dann Resonanz zu beobachten ist, wenn sich ein Knoten sehr nahe an dem Schwinger befindet, der angeregt wird und dessen Amplitude somit auch festgelegt ist. Dieser Mechanismus unterscheidet sich wesentlich von dem bei einer erzwungenen Schwingung. Zuletzt kann das Applet auch dann zur Veranschaulichung dienen, wenn ein Realexperiment überhaupt nicht zur Verfügung steht. Es lässt sich bei Online-Unterrichten ebenso einsetzen wie beim Experimentieren mit der freien Wahl verschiedener Parameter.
Physikalische Überlegungen und Entwicklung des SimulationsmodellsEine Schraubenfeder kann zur experimentellen Untersuchung des Feder-Masse-Pendels herangezogen werden. Es ist jedoch auch möglich, innerhalb der Feder eine Wellenausbreitung anzuregen und diese zu untersuchen. In einem Video habe ich einmal solch eine Bewegung zunächst in normaler Geschwindigkeit und auch in Zeitlupe aufgenommen. Es ist deutlich die Herausbildung einer stehenden longitudinalen Welle zu beobachten. Unterteilt man gedanklich die Feder in einzelne Teilstücke, so lässt sich damit ein Modell entwickeln: Angenommen, die Feder besteht aus n Teilstücken, die ihrerseits Masse-Feder-Pendel mit einer Ruhe-Länge , der Masse m und einer Federkonstante D sind. Dann sind die Länge, die Masse und die Federkonstante der gesamten Feder.
Für das mathematische Modell benötigt man nun noch eine Variable für die Elongationen der Pendel. Sie seien . Die Rückstellkraft auf einen der Massepunkte ist die Summe der beiden Kräfte, die die verbundenen Federn aufgrund ihrer Verformung ausüben. Eine solche Kraft ist . Beim rechten Schwinger in der Skizze fehlt eine weitere Befestigung. Es handelt sich somit um ein loses Ende der Kette. Wird eine letzte Feder und eine Befestigung angefügt, ergibt sich ein festes Ende. Nach Addition und Vereinfachung lautet die Liste der Rückstellkräfte
(1) | . | (1) |
Mit a =1 wird ein loses, mit a = 2 ein festes Ende beschrieben. Damit kann die Gleichung für die Beschleunigung jedes Teilschwingers formuliert werden. Da ich im Applet das Differentialgleichungssystem rekursiv lösen möchte, ist eine Reibungskraft nicht nur wegen der realistischeren Modellierung notwendig. Ohne sie würden die berechneten Elongationen schnell ins Unendliche wachsen. Das Gleichungssystem lautet
(2) | . | (2) |
Für hinreichend kleine Zeitabschnitte liefert die Rekursion
(3) | | (3) |
die Werte für die Elongation, die dann grafisch dargestellt werden können. Im Applet habe ich für die Zeitabschnitte den Wert 50 ms als Maximum gewählt. Dauert ein Rechenschritt kürzer, so ist auch kleiner und die dynamische Darstellung läuft in Echtzeit ab. Den Reibungskoeffizient r lasse ich immer so bestimmen, dass die freie Schwingung nur sehr langsam abklingt. Die Masse m ist zur Vereinfachung 1 kg und die Länge l eines Teilschwingers 1 m. Damit ist das Modell fertig beschrieben. Es muss nun zeigen, dass es die Ausbreitung von Wellen in einer Schraubenfeder hinreichend beschreibt. So sollte sich bei periodischer Anregung des ersten Schwingers eine stehende Welle ausbreiten, deren Wellenlänge mit der aus den Eigenschaften der Feder berechneten übereinstimmt. Für die gesamte Feder findet man in der Literatur oder durch Herleitung für die Ausbreitungsgeschwindigkeit die Beziehung . Setzt man die beim Erstellen des Modells verwendeten Größen ein, erhält man
(4) | . | (4) |
Damit hängt, wie es erwartungsgemäß auch sein sollte, die Ausbreitungsgeschwindigkeit von den Eigenschaften der Teilschwinger, nicht aber von deren Anzahl ab. Ohne Einheit habe ich im Applet l = 1 und m =1 gewählt. D kann per Schieberegler eingestellt werden. Bezüglich der Einheiten habe ich im Applet Meter und Kilogramm angegeben. Das würde im Realen eine recht monströse Feder-Masse-Kette ergeben. Man kann aber gedanklich Masse- und Längenmaße durch einen beliebigen Faktor teilen, das Zeitverhalten änderte sich dadurch nicht. Zudem kann vereinfacht ohne Bezug zur Schraubenfeder untersucht werden, ob sich das Modell beim Vergleich von festem und losem Ende so verhält wie das allgemein für die Reflexion von Wellen zu erwarten ist.