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Sonnenbahn am Himmel

Scheinbare Klarheit

Wenn dich jemand fragt, wie die Sonne über den Himmel zieht und was dabei die Unterschiede zwischen Sommer und Winter sind, was würdest du antworten? Ich dachte immer, mir sei das einigermaßen klar und es sei nicht sonderlich kompliziert:
  • Mittags um 12 steht die Sonne im Süden
  • Nachts um 12 steht sie im Norden, aber unter dem Horizont, deshalb ist es dunkel
  • Also steht sie morgens um 6 im Osten und Abends um 6 im Westen, denn sie bewegt sich ja wohl gleichförmig über den Himmel. (Ja, klar, nur scheinbar, in Wirklichkeit dreht sich die Erde, aber das tut sie ja gleichförmig)
  • Der Unterschied zwischen Sommer und Winter ist, dass die Sonne im Sommer höher am Himmel steht und im Winter flacher. Der Kreis, den sie über den Himmel beschreibt, ist im Sommer einfach weiter oben, oder vielleicht auch irgendwie gekippt.
Daran kann aber was nicht stimmen, wie der nächste Abschnitt zeigt.

Fragen und Zweifel

Wenn man allerdings mal richtig die Augen aufmacht und wirklich auf das achtet, was da täglich mit so großer Selbstverständlichkeit passiert, dann stößt man schnell auf "unlösbare" Fragen: Ich stand mal über mehrere Monate hinweg jeden Morgen um 7:30 an einer Bushaltestelle. Klar, im Dezember ist es da noch dunkel, und im Juni brät die Sonne runter. Aber seltsam ist, dass sie im Juni viel weiter links (also nördlich) steht, als noch im März, wenn sie um diese Zeit gerade erst aufgegangen ist. Und: Nein, die Umstellung von Winter- auf Sommerzeit war nicht die Ursache des Phänomens. Ich habe also ganz klar beobachtet, dass die Sonne übers Jahr gesehen um die gleiche Uhrzeit nicht immer in der gleichen Himmelsrichtung steht. Das hat mich irritiert: Wenn die Sonne also im Sommer morgens und abends um 6 Uhr gar nicht im Osten bzw. Westen steht, sondern jeweils weiter in nördlicher Richtung, dann müsste sie ja in den 12 Tag-Stunden einen größeren Teil ihres Kreises zurücklegen als in den Nacht-Stunden. Das kann aber nicht sein, weil sich die Erde doch mit gleichbleibender Geschwindigkeit dreht. Irgendwas ist also an diesen Gedanken faul. Aber was? Wenn man nicht gerade Astronomie studieren möchte, hilft vielleicht ein anschauliches Modell beim Verstehen, was da wirklich vor sich geht. Und dieses Modell kommt hier:
Anleitung

1. Breitengrad und Beobachter-Wahrnehmung

Stelle den gewünschten Breitengrad ein, für den du die Situation beobachten möchtest. 48° entspricht Freiburg. Stell dir vor, du stehst als Beobachter dort auf der Kugel. Dann erscheint dir die Welt als Ebene, auf der du stehst. Schalte die Ebene an. Süden und Norden sind die Richtungen entlang des Längengrades, auf dem du stehst. Osten und Westen stehen senkrecht dazu. Den Himmel nimmst du als eine Halbkugel wahr, die wie eine Käseglocke über diese Ebene gestülpt ist und in deren Zentrum du stehst. Schalte den Himmel ein. Das ist übrigens tatsächlich auch die gängige Darstellungsweise in der Astronomie. Die Himmelskörper, die sich ja in Wirklichkeit irgendwo in der Tiefe des Weltraums befinden nimmst du wahr, als wären sie an dieser Himmelskugel festgemacht. Und zwar genau dort, wo ein Lichtstahl von dem Himmelskörper zu dir die Kugel durchstößt. Solange man sich nicht für die Entfernung bestimmter Objekte interessiert, reicht diese Vorstellung auch völlig aus. Das machen wir jetzt mal für die Sonne. Schalte die Sonne ein. Du kannst übrigens mit der Maus das gesamte Bild drehen und kippen, um es von allen Seiten zu betrachten.

2. Bezugssystem - Wer oder was dreht sich?

Sicher wunderst du dich, warum du zwei Sonnen siehst. Dazu kommen wir gleich noch. Schalte die Animation ein oder verstelle die Uhrzeit am Schieberegler. Du siehst, dass sich hier die Sonne(n) um die Erde dreht und nicht die Erde um sich selbst. Physikalisch gesehen ist das völlig OK: Wir betrachten die Bewegung einfach aus dem Bezugssystem unseres Beobachters auf der Erde. Wir wollen ja verstehen wie es für ihn aussieht. Nun zu den zwei Sonnen: Sicher weißt du, wie die Jahreszeiten zustande kommen, sonst schau vielleicht erst mal hier rein: https://www.timeanddate.de/astronomie/jahreszeiten-erklaerung Die Erdachse ist ja um 23,5° gegen die Ebene der Erdumlaufbahn gekippt. Im Sommer neigt sich der Nordpol zur Sonne hin, im Winter von ihr weg. Wir machen das hier im Modell (Bezugssystem Erde) erneut andersrum: Wir lassen die Erdachse senkrecht stehen und kippen stattdessen die Richtung der Sonne um 23,5° nach oben (für die Situation im Sommer). Das hat den Vorteil, dass wir in der selben App zum direkten Vergleich auch noch die Situation im Winter unterbringen können. Da ist die Sonnenrichtung dann entsprechend nach unten gekippt. Daher die zwei Sonnenstrahlen und die beiden scheinbaren Sonnen an der Himmelskugel. Du kannst die Bahnen der Sonnen auch aufzeichnen: Schalte die Schein-Sonnen-Spur-Erfassung an.

Himmelsrichtung der Sonne

Die Frage zu Beginn war ja folgende: Warum steht die Sonne im Sommer zur selben Uhrzeit weiter im Norden als im Winter? Und das, obwohl sich die Erde immer gleich schnell dreht, also (Bezugssystem-Wechsel) obwohl die Sonne sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit über den Himmel bewegen müsste. Dazu erst mal die Frage: Was ist überhaupt die Himmelsrichtung, in der die Sonne steht? Was bedeutet, die Sonne steht im Westen? Himmelsrichtungen sind ja eigentlich als Orientierung am Boden gedacht (also auf der grünen Ebene in der App) und nicht irgendwie schräg in den Himmel hinauf. Jetzt schau mal raus zur Sonne (wenn sie scheint) und überlege, wie du ihre Himmelsrichtung bestimmen würdest. Sicherlich ohne viel nachzudenken folgendermaßen: Du stellst dir eine Linie von der Sonne aus senkrecht nach unten auf die Erde vor. Vielleicht steht dort ein Baum. Dann visierst du den Baum mit dem Kompass an. Und wenn der dann "W" zeigt, dann steht die Sonne also im Westen. Das machen wir jetzt entsprechend in der App. Schalte die Projektion ein (Sonne und Ebene müssen natürlich aktiviert sein). Nun siehst du die eben erwähnte gedachte senkrechte Linie von der Sonne auf die Ebene herunter sowie auf der Ebene die Linie, die die Himmelsrichtung der Sonne für den Beobachter anzeigt. Das ganze natürlich zwei mal für die Sommer- und die Wintersonne. Stelle eine Uhrzeit ein, bei der beide oberhalb des Horizonts sind. Evtl. siehst du hier klarer, wenn du die Himmelskugel wieder abschaltest.

Ergebnis und Interpretation

Man sieht deutlich, dass sich die Himmelsrichtungen, in denen die Sonne im Sommer und im Winter zu einer bestimmten Uhrzeit steht, deutlich unterscheiden. Nur mittags steht die Sonne tatsächlich immer genau im Süden (Da decken sich die beiden roten Linien auf der Ebene). Je weiter man Richtung Sonnenauf- oder Untergang geht, desto stärker unterscheiden sich die Himmelsrichtungen. Der Effekt hängt allerdings auch vom gewählten Breitengrad ab. Das Modell bestätigt also die Beobachtungen in der Natur (Bushaltestelle morgens). Und wieso geht das, obwohl sich die Erde doch immer gleich schnell dreht (vgl. Fragen und Zweifel)? Zeichne die Spuren der "beiden Sonnen" am Himmel nochmal gut auf. Schalte auch die Projektion ein, aber den Himmel aus. Stelle eine Uhrzeit ein, kurz vor Untergang der Winter-Sonne. Und jetzt schau dir alles genau von der Seite her und aus Sonnenrichtung an. Also So:
Image
Dann siehst du am besten, was los ist: Die Verschiebung der Himmelsrichtung nach Norden hin entsteht nur aus der Projektion auf die Ebene. Die für den Beobachter senkrechte gedachte Linie Sonne - Erdboden verläuft "in Wirklichkeit" schräg. Und je länger sie ist, sprich: je höher die Sonne am Himmel steht, desto weiter Richtung Norden wandert der Fußpunkt unten auf der Ebene. Und das ist so, obwohl die beiden Sonnen bezogen auf die Richtung der Erdachse eigentlich genau übereinander stehen. So wird aus der gleichförmigen Rotation durch die Projektion in die schräge Ebene ein ungleichmäßiges überstreichen der Windrose mit den Himmelsrichtungen.

Noch besser verstehen?

Schalte die Spur des Fußpunkts der Projektion an und zeichne einen vollständigen Tag auf. Jetzt musst du wieder die ursprüngliche Blickrichtung einnehmen, damit du siehst, was los ist. Auch die Spur des Fußpunkts ist ein regelmäßiger Kreis. Sogar die Rotationsgeschwindigkeit des Fußpunkts ist konstant. Das sieht man an den regelmäßigen Abständen der Punkte auf der Spur. Aber dieser Kreis ist nach Norden hin verschoben. Sein Mittelpunkt ist nicht der Beobachter. Stell dir nun eine Windrose um den Beobachter in der Ebene vor. Dann ist klar, dass deren Süd-Hälfte tatsächlich in kürzerer Zeit überstrichen wird, als ihre Nordhälfte, einfach weil die projizierte Sonnenbahn ihren Mittelpunkt weiter nördlich hat als die Windrose. So banal ist das also am Ende. Aber vorstellen kann man es sich nicht so leicht, ohne es zu sehen. Da bewundere ich die "alten" Astronomen, die das alles kapiert haben, ohne 3D-Animationen...